sozialSPOTT
vom 8. September 2008
Man könnte meinen, dass es eine rechte Lust sein muss für einige
Menschen in diesem Land, ab und zu mal wieder dieselbe Sau durch's Ländle
zuu treiben, aber komisch ist das wirklich nicht: Mit einer Abschaffung
der Künstlersozilakasse wären über 150.000 KünstlerInnen,
insbesondere solche, die es dringend brauchen, ohne Sozialversicherungsschutz
und gezwungen, ihre Arbeit aufzugeben und sich in den JobCentern nach ALG
II anzustellen. Das ist also nicht nur ein sozialpolitischer Anschlag gegen
eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, sondern einer auf die kulturelle
Basis unserer Gesellschaft, der auf auf die entschlossene Abwehrhaltung
von uns "Betroffenen" stoßen sollte. Wir dokumentieren hierzu
zwei Pressemeldungen von gestern und werden konzentriert weiter berichten!
"KSK abschaffen? Proteste gegen Bundesländer
Die Künstlersozialversicherung sorgt erneut für Streit, ein Jahr nachdem sie reformiert wurde: Mehrere Bundesländer wollen die Versicherung für freiberufliche Künstler und Publizisten abschaffen oder unternehmerfreundlich" reformieren, warnte der Deutsche Kulturrat am Dienstag. Dies gehe aus der Empfehlung für einen Gesetzentwurf hervor, über den der Bundesrat am 19. September abstimme. Der Antrag zur Reform der Künstlersozialkasse, die rund 160 000 Mitglieder zählt, gehe auf eine Initiative von Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zurück. Die Länder wollen insbesondere das Handwerk um Bürokratiekosten entlasten - in Ergänzung zum Anfang August beschlossenen Mittelstandsentlastungsgesetz". Gleichzeitig dementierten Länder wie Schleswig-Holstein, Bremen und Sachsen-Anhalt, dass es bereits eine Bundesratsinitiative gegeben habe. Es gebe dazu noch keinen Kabinettsbeschluss in den Ländern.
Trotzdem protestieren nun alle Parteien. Der Deutsche Kulturrat, der Musikrat und Verdi warnen vor der Zerschlagung der KSK, die sich zur Hälfte aus Versichertenbeiträgen finanziert, zur anderen Hälfte aus Abgaben des Bundes und der Auftraggeber. Sie abzuschaffen würde bedeuten," so der Kulturrat, dass die Mehrzahl der Künstler keine Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung" mehr hätten. Aus den SPD-regierten Ländern hieß es allerdings, dass es in der Länderkammer eher keine Mehrheit gegen die KSK geben werde. dpa/Tsp" [Der Tagesspiegel, 10.09.08]
"Seltsame Missverständnisse um die Künstlersozialkasse
BERLIN. Mehrere Bundesländer wollen die Künstlersozialversicherung abschaffen oder zumindest unternehmerfreundlich reformieren". Gegen diesen Passus in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Abbau bürokratischer Hemmnisse", dem mehrere Ausschüsse des Bundesrates zugestimmt haben und über den am 19. September abgestimmt werden soll, hat sich gestern scharfer Protest der Künstlerverbände und der Politik erhoben. Gleichzeitig dementierten mehrere Länder, dass es dazu eine Bundesratsinitiative" gegeben habe. Es habe keinen Kabinettsbeschluss in den Ländern gegeben. Der Deutsche Kulturrat hatte Alarm geschlagen, weil mehrere Ausschüsse der Länderkammer diesem Passus bereits zugestimmt hätten. Der Bremer Kultursenator und Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) sprach von einem bedauerlichen Missverständnis auf Arbeitsebene" in den Bundesratsgremien. Auch aus Sachsen-Anhalt hieß es, man habe nicht vor, die KSV abzuschaffen. Der Kieler Regierungssprecher Christian Hauck sprach von einer Ente", die Meldungen des Kulturrates seien schlicht falsch". Olaf Zimmermann vom Kulturrat dagegen versichert, ihm läge aus absolut zuverlässigen Quellen" die Abstimmung vor, sieben Länder hätten mit Ja und sechs mit Nein gestimmt bei drei Enthaltungen. Offenbar seien einzelne Staatskanzleien von ihrer Bürokratie übertölpelt worden". Der Protest komme noch rechtzeitig. (dpa)" [Berliner Zeitung, 10.09.08]
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sozialSPOTT
vom 12. September 2008
"Frech
hat nicht gesiegt
Die Künstlerkasse bleibt
VON BIRGIT WALTER
Die
Künstlersozialversicherung ist ein schönes Beispiel dafür,
wie ein raffiniert getarnter Passus in einer Gesetzesinitiative exakt das
Gegenteil von dem erreicht, was sein Ziel war - die Abschaffung der Künstlersozialversicherung.
Indessen haben so viele Parteien, Länder, Künstlerverbände
und Gewerkschaften so laut gegen dieses Ansinnen protestiert, dass so schnell
niemand mehr wagen wird, irgendeinen feindlichen Halbsatz über die
Künstlersozialkasse zu formulieren. Aber der Vorgang ist überaus
seltsam und bemerkenswert.
Irgendwo im Wirtschaftsministerium von Baden-Württemberg ist in den
Entwurf über ein Entbürokratisierungsgesetz ein zusätzlicher
Passus geraten, der so lautete: Der Bundesrat fordert, dass die Künstlersozialversicherung
abgeschafft oder zumindest Unternehmerfreundlich reformiert wird."
Dann nahm der Entwurf seinen bürokratischen Lauf. Sieben Länder
stimmten in der Länderkammer zu, sechs dagegen, drei enthielten sich.
Niemand hatte offensichtlich gemerkt, wofür er da stimmte. Pikanterweise
lag ausgerechnet dem Sozial- und dem Kulturausschuss das Papier nicht vor,
die heikle Stelle wäre dort wohl am ehesten aussortiert worden, den
Wirtschaftsausschuss hat es ohne Beanstandung passiert. Der Abstimmungsmarathon
im Bundesrat am 19. September ist zum Schluss auch nicht der Ort gründlicher
Textprüfungen.
Aber einer muss dann doch aufgepasst und dem Deutschen Kulturrat von dem
trojanischen Pferdchen erzählt haben. Der hat es in Gestalt von Olaf
Zimmermann selbstredend sofort öffentlich gemacht und als Angriff auf
kulturpolitische Errungenschaften scharf gegeißelt. Die Länder,
die schon zugestimmt haben, sprachen hurtig von bedauerlichen Missverständnissen
auf Arbeitsebene. Hier hat jemand Tatsachen schaffen wollen. In diesem Fall
hat frech nicht gesiegt." [Berliner Zeitung, 11.09.08]
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